Jeder Langstreckenläufer liebäugelt mit einem "richtigen" Marathon. Nach meinem beeindruckenden Erlebnis, das mir mein Halbmarathon bescherte (siehe „Lauf der Dinge“), war mein Läuferschicksal vorbestimmt.
Thema Schicksal: Meine Achillisverletzung ist kurz nach dem Halbmarathon wieder aufgebrochen. Über das Armutszeugnis, das sich einige so genannte Fachärzte erworben haben, möchte ich nicht berichten, aber es hat Monate gedauert, bis ich endlich den wirklichen Fachmann gefunden habe. Er war der erste Arzt, der mich, bzw. mein Unterschenkel inklusive Fuß, untersucht hat. Neben einem Physiotherapie-Rezept bekam ich noch einige Tipps zu meinem Laufstil, und darüber hinaus auch Ratschläge, wie ich meine Laufmotivation trotz aller Probleme beibehalten kann. Ein Monat in den Händen von Viego, meinem Physiotherapeuten, und ich konnte schmerzfrei gehen. In meinem „Trainingswald“ konnte ich allmählich mit Walking beginnen, was auch meiner Frau zugute kam. Doch die Laufhormone wurden immer stärker, so dass nach und nach das walken im Joggingstil endete. Im März 2002 konnte ich so maximal 3km am Stück laufen, was in mir die Hoffnung nährte, dass ich im Mai beim Hannover-Marathon die 10km-Strecke mitlaufen könnte. Die Angst vor einem Rückfall, und die Umstellung meines Laufstils (nach 30 Jahren Vorfußlauf auf Vollfußlauf) verhinderten dies.
Im Sommer war mir das Vollfußlaufen in Fleisch und Blut gegangen, und längere Strecken waren schmerzfrei möglich. Ein Marathon war nun wieder realistisch, zu mal die Trainingspläne, die ich mir aus dem Internet gezogen habe, absolut machbar waren. Immer öfter war Rainer mein Laufpartner. Er brachte mich dann auch an die Spargelsprinter. Dazu später.
Oktober 2002 überschreite ich die Halbmarathonhürde. Ab und an zwickt es noch im rechten Unterschenkel, und Ende Februar habe ich Knieschmerzen, die allerdings nach ein paar Tagen Krankengymnastik vorbei sind. Ich kann mich aus beruflichen Gründen jedoch erst spät zum Marathon anmelden, habe also genug Zeit in meinen Körper zu hören.
Die heiße Phase des Trainings beginnt im Februar 2003- das Ziel ist klar: 42195 Meter unter vier Stunden. Um mich zu testen, habe ich mich Ende März beim Deistermarathon in Springe zum Halbmarathon gemeldet. Die Strecke fällt mir nicht nur wegen der Höhenunterschiede schwer. Da die Zeit gut unter zwei Stunden liegt, bin ich zwar beruhigt, bekam aber auch ein bisschen Ehrgeiz. Diverse Laufzeitrechner im Internet werden mit Trainingsdaten gefüttert, und errechnen mir Prognosen zwischen 3:42h und 3:47h. Die nächsten fünf Wochen also das große „Kilometerfressen“. Der erste Dreistundenlauf war zwar die reine Qual, aber die restlichen vier wurden dann zufriedenstellend besser. Ich war mir sicher, gut vorbereitet zu sein.
Morgens ist meine Aufwachphase dank der Vorfreude sehr kurz, das Wetter ist toll und ich fühle mich topfit. Die letzten Tage habe ich mir ein paar Strategien zurechtgelegt, und beim Frühstück war klar, dass ich die härteste wählen werde: 5:20 min. pro km. Auch mein Freund Günter, der die erste hälfte in meiner nähe sein würde, konnte mich nicht zu einem langsameren Tempo überreden. Bis zur Halbmarathonmarke hatte ich damit auch keine Probleme, die Atmung war ruhig, und die Beine locker. Als ich den Zielbereich nach der ersten Runde hinter mir hatte (Hannover ist ein Halbmarathonkurs), fiel ich in ein Motivationsloch, denn plötzlich war ich völlig allein auf der Strecke. Scheinbar hatten sich alle anderen für den Halbmarathon gemeldet, und waren nun im Ziel, und ich muss wohl ganz einsam eine weitere Runde laufen. Mein Tempo verlangsamte sich, und meine Beine wurden schwer. Glücklicherweise wurde meine Stimmung auf der Hildesheimerstr. besser, weil ich wieder einige Mitläufer hatte.
An der Verpflegungsstelle bei 31km gab es dann so eine Art Vorentscheidung: Bei der nötigen Flüssigkeitsaufnahme habe ich mich verschluckt. Ich blieb stehen! Nachdem ich mich ausgehustet hatte, wollten meine Beine gar nicht mehr loslaufen (gegen meinen Willen). Der gute Laufrhythmus war dahin. Kurze Laufstrecken wechselten mit langen Gehpausen, und bei 35km war eine Zielzeit unter vier Stunden pure Illusion. Nach 4:22:16Std. Bin ich am Ende meiner körperlichen und mentalen Kräfte endlich im Ziel. Bis heute ist mir nicht erklärbar, was mit mir passiert ist, aber schon am nächsten Tag war mir klar, dass ich noch mal an den Marathon ran muss, um unter vier Stunden zu bleiben.
Zwei Wochen
Laufpause
taten ganz gut, um wieder Lust aufs Laufen zu bekommen. Die ersten
langsamen
Läufe haben richtig glücklich gemacht, aber die schweren Beine
erinnerten mich
noch an den Marathon. In der Vorbereitung zum Burgdorfer Citylauf gab
mir mein
Körper Rätsel auf: Obwohl ich ordentlich Blei in den Beinen hatte,
haben sich
meine Zeiten bei Tempoläufen sprunghaft verbessert. Im Wettkampf habe
ich meine
10km Bestzeit um ca. zwei Minuten verkürzt.
Im heißen Sommer 2003 war das größte Problem, immer gut Wasser zu trinken. Normalerweise reichte mir mein Trinkgürtel mit vier kleinen Flaschen, aber bei einem 3-Stunden-Lauf hat mich die Dehydrierung voll erwischt. Doch plötzlich kam ein Engel auf dem Fahrrad angerauscht, und gab mir eine azurblaue Flasche gefüllt mit reinem hellen Wasser. Die Fata Morgana heißt Petra, und ist nach über zehn Ehejahren immer noch an meinem Wohlbefinden beteiligt! So richtig fit war ich aber nicht wirklich, so nahm ich es auch gelassen hin, dass ich mich mit einer Verletzung am linken Fußgelenk auf den Weg nach Rostock machte. Ich hatte keine Schmerzen, konnte mich aber nicht richtig abstoßen.
Die 1.Rostocker Marathonnacht ist eine Eintagsveranstaltung. Morgens ist die Startnummernausgabe und der Start- und Zielbereich wird im Stadthafen aufgebaut. Es fängt leicht an zu regnen. Mittags ist dann das Nudelessen angesagt. Das mit dem Regen hat sich erledigt. Abends (na ja, genaugenommen nachmittags um 17:00Uhr)sind dann die Wettkämpfe. Bei fast 30°C ist man vor dem Start nicht so richtig wach, deswegen hat der Veranstalter wahrscheinlich auch die Pistole im Köcher gelassen, und einen Startböller losgelassen. Nicht nur die Läufer erschraken, sonder auch die Alarmanlagen der im Startbereich geparkten PKWs. So ein Getöse wünscht man sich für den Zieleinlauf! Mit guter Stimmung begann ein in der Tat „heißes Rennen“.
Eine Taktik hatte ich diesmal nicht, deswegen nutzte ich den Service des Vierstunden-Läufers. Recht wenige Zuschauer und die drückende Luft machten das Laufen nicht gerade zum Genuss. Die erste hälfte der Strecke ist ziemlich schwer: Steigungen, Gefälle, enge sich verjüngende Kurven und teilweise sandige Baustellen. Die freundlichen Anwohner boten uns außerhalb der Verpflegungsstellen Wasser und kühle Duschen mit ihren Gartenschläuchen an. Nach ca. fünfzehn Kilometern vermisse ich was zum Essen, das Tempo ist mir zu hoch und ich lasse die Vierstunden-Gruppe ziehen. Bei der 19km-Marke gibt es endlich Bananen und, sehr erfrischend, Apfelstücke. Dann sah ich nur noch ein schwarzes Loch- die Warnowquerung - 900m lang, 30m runter und, welche Freude, 30m rauf. Ein älterer Läufer aus Frankfurt überholt mich. Später konnte ich in der Ergebnisliste nachlesen, dass er in M70 eingruppiert ist --- WIE PEINLICH ! HalbmarathondurchgangszeitüberzweiStunden. Nach ca. 22 Kilometern habe ich den „alten Hasen“ eingefangen. Nicht, dass er einen Einbruch hatte, nicht, dass ich einen Gang höherschalten konnte, nein: Am Eingang der IGA (internationale GartenAusstellung) spielte eine Jazzband, und da musste er halt mit einer Zuschauerin eine heiße Sohle auf die Laufstrecke legen. Noch vor 23 Kilometer zeigte er mir wieder sein Laufshirt von der Rückseite. Die restliche Strecke war leicht abfallend, und führte durch Plattenbausiedlungen und über Ausfallstraßen. An den Verpflegungsstellen machte ich während des Trinkens eine Gehpause. Die letzten vier Kilometer wollte ich durchlaufen, was unmöglich war, weil dieser Streckenteil im Hafen nicht nur mit Kopfsteinen gepflastert war, sondern auch mit Eisenbahn- und Kranschienen durchzogen waren. Als ich dann noch eine Art von Endspurt machen wollte, meldete sich mein gesundes Bein, das wegen meiner Verletzung die meiste Arbeit leisten musste, mit einem heftigen Krampf. Die Erwartungen waren nicht so hoch, und so bin ich bei Einbruch der Dunkelheit ganz gut gelaunt über die Ziellinie gelaufen. Im Ziel erhielt ich nach wenigen Sekunden einen Ausdruck mit meinen Daten inklusive Zeiten. Meine Stimmung kippte schlagartig ins alberne: Neue persönliche Bestzeit 4:22:14Std. 2Sekunden schneller als bei meiner Marathonpremiere.
Nach zwei
Marathon in
einem Jahr -> erst mal einen Monat Laufpause, und dann gaaaanz
laaangsaaam
wieder anfangen!
Ab Oktober laufe ich regelmäßig mit den Spargelsprintern, und manchmal auch eine „Lusteinheit“ für mich. Ich habe richtig viel Spaß. Über den Winter machen wir beim Lauftreff viele Fahrtenspiele und Endsprints. Die Kilometer sind nur so vorbei geflogen, und meine Grundausdauer war auf hohem Niveau, als ich im Februar '04 mit meinem Trainingsprogramm für den Hannover-Marathon begann. Bei den Tempoläufen wundere ich mich über die Zeiten, denn trotz kontrolliertem Puls brauche ich z.b. für zwanzig Kilometer deutlich unter 1:40 Std.. Die Longruns habe ich mir auf die Samstage gelegt. Bei den 2Std.- und 2:30Std.-Strecken halfen mir Henning, Rainer und Ralf gegen die Langeweile, aber die 3Std.-Läufe musste ich allein mit mir verbringen.
Ich habe ordentlich trainiert, habe ausreichend Krafttraining für Rücken, Bauch, Oberkörper und Arme gemacht, mein Gewicht und die Ernährung waren perfekt, nur ab und zu eine Zigarette, also was könnte noch schief gehen? Seit Tagen verfolgte ich die Wetterprognosen, die für den „M-Day“ ständig wechselten.
Am Wettkampfmorgen regnete es, aber die Temperatur war in Ordnung. Also dann: -Müsli essen -Laufsachen anziehen -nach Hannover fahren -und LOS!
Für die ersten drei Kilometer will ich mir achtzehn Minuten Zeit lassen, und dann bis zur 35 km-Marke einen Kilometerschnitt von 5:40 min. einhalten. Heute hat mich mein Zeitgefühl verlassen. Obwohl ich sonst wie ein Uhrwerk laufe, brauche ich nur 17:33min. bis zur 3km-Marke, und bis zur 39Kilometer zeigt mir meine Stoppuhr zwischen 5:17min. und 5:40min. pro Kilometer an. Das soll aber das größte Problem an diesem Tag bleiben.
Ich fühle mich super! Nach 26Kilometern weicht die Angst vor der Strecke, und die Kür beginnt. Unzählige Kinderhände klatsche ich ab, vor der Uni ein paar „Laola“ mit den Zuschauern. Das Geschwindigkeitsgefühl wird durch die langsameren Halbmarathonis, die ich nun überhole, verstärkt. -IRRE!- Als ich nur noch das Dreieck Karmarschstr.-Osterstr.-Friedrichswall vor mir habe, ist für mich schon alles klar. Ralf feuert mich an, ich zeige ihm so ein Mittelding zwischen einer verunglückten Beckerfaust und dem Viktoriezeichen – er wird's verstanden haben. Zu Beginn der Osterstr. geben die Zuschauer noch mal alles, riesige Stimmung... nicht nur bei mir. An der Aegikirche überkommt mich eine Schallfront vom Trammplatz. Am liebsten hätte ich mich auf die Bordsteinkante gesetzt und ein paar Freudentränen geweint, aber ich entscheide mich dann doch, den Endspurt anzuziehen.
„Das“ und „mein“ Ziel ist erreicht!
3:53:54Std. bin ich am Stück gelaufen und habe dabei 42195m zurück gelegt, nichts tut weh, keine Blasen an den Füßen, keine Krämpfe – alles OK.
Bleibt noch ein
Resümee. Die viel zitierte Frage:“ Warum mache ich das?“ habe ich mir
nie
gestellt. Mir war klar, dass ein Marathon über das Langstreckenlaufen
zwei mal
die Woche weit hinaus geht, und irgendwie ist es auch logisch, dass
Training
auch Quälen bedeutet. So habe ich für mich entscheiden müssen, wie weit
die
Qualen gehen dürfen. Meinen Trainingsplan habe ich mir aus
Fachzeitschriften
und Plänen, die ich im Internet gefunden habe, zusammen gestellt, und
meinen
unregelmäßigen Arbeitszeiten angepasst. Besonders schwer sind mir die
Fahrtenspiele gefallen. Die sollen die sog. Tempohärte erhöhen. Ich
glaube,
dass dieser Trainingspunkt nicht nur eine physische, sondern auch eine
mentale
Vorbereitung auf das ist, was einen beim Marathon erwartet. Anfänglich
hatte
ich auch Probleme, die wohl alle Läufer aus eigener Erfahrung kennen,
nämlich
zu schnelles Laufen bei den langsamen Einheiten. Ich habe das mit dem
Pulsmesser in den Griff bekommen.
Zwölf Wochen
vor dem
jeweiligen Marathon habe ich eine sehr konkrete Vorbereitung begonnen:
1.Tag |
Mittlere Strecke ca. 15km |
75% des
Max. Puls |
|
2.Tag |
Kurze bis mittlere Strecke ca. 10km-15km |
65% - 90% des Max. Puls |
Fahrtenspiele |
3.Tag |
Faulenzen |
|
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4.Tag |
2Std. – 3Std. |
Höchstens
70% des Max. Puls |
Lalala (Langer Langsamer Lauf) die wichtigste Einheit! |
5.Tag |
30min – 40min. locker laufen |
Höchstens 70% des Max. Puls |
Wenn der Körper nicht will -> Ausruhen! |
6.Tag |
Tempolauf 15km – 20km |
80% - 85% des Max. Puls |
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7.Tag |
Füße hochlegen, Trainingsdaten auswerten |
Vom Marathon träumen! |
|
Wichtig ist auch die Ernährung! Also, viel Kohlehydrate und viel mineralhaltige Flüssigkeit zu sich nehmen.
Eigentlich
sollte man
auf Alkohol und Nikotin verzichten, die Stärke hatte ich dann doch
nicht immer.
Und
nun kann ich gut zu den Danksagungen überleiten.
Da sind all die Helfer, die mir den Weg zum Zigarettenautomat erspart haben, denn durch das Schnorren konnte ich meinen ohnehin niedrigen Zigarettenverbrauch auf unter 30% senken. Dann danke ich allen Freunden und Kollegen, die meine langen euphorischen Monologe über die Schönheit des Laufens geduldig ertragen haben.
Ganz wichtig für meine Vorbereitung waren die „Spargelsprinter Burgdorf“. Das Laufen in einer Gruppe hat sehr viele Vorteile:
-Man erhält Trost und gute Ratschläge bei Misserfolgen oder Verletzungen.
-Die Trainingsleistung wird durch den Austausch mit anderen Läufern auf einem gleichbleibend hohen Niveau gehalten.
-Während der Läufe entwickelt sich auch ab und an eine Dynamik, die eine gute Übung für Wettkämpfe ist, z. b. Tempowechsel oder enges nebeneinander laufen.
-Außerdem wird es nie langweilig.
Stellvertretend für alle Spargelsprinter möchte ich mich bei Henning, Rainer und Ralf bedanken, die viele hundert Kilometer an meiner Seite gelaufen sind.
Bedanken, oder eher entschuldigen muss ich mich bei meiner Familie, denn ich habe großen Einfluss auf unser häusliches Leben genommen.
-Heute mittag bin ich zu Hause, also viel Kohlehydrate und wenig Fett im Essen
-Gartenarbeit? Nee, ich muss laufen
-Familienbesuch? Wo kann man da laufen?
-Fahrradtour? Passt überhaupt nicht in meinen Trainingsplan
-Bummel übers Schützenfest? Sorry, bin verletzt.
Das alles und noch mehr haben meine drei Frauen erduldet.
Ganz besonderer Dank an Petra!
Nicht nur, dass sie mich zu allen Wettkämpfen begleitet, sondern ganz besonders dafür, dass sie das Familieleben so organisiert, wie es für mein Laufen nötig ist.
Laufen ist eben doch ein Mannschaftssport!
Berni Helmdorf
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